Unlängst hat sich die EKS (Evangelisch-reformierte Kirche der Schweiz, ehemals SEK) zugunsten der Ehe für alle ausgesprochen. Das überrascht nicht, weil es ganz auf der Linie der gesellschaftlichen Entwicklung liegt. Diese nachzuvollziehen, wie beispielsweise in der Frauenordination, war immer schon ein Merkmal der Reformierten.
Allerdings erachte ich diese Preisgabe eines Jahrhunderte alten gesellschaftlichen Konsenses als hoch problematisch, weil so die Ehe von Mann und Frau als Keimzelle neuen Lebens ihren besonderen Schutz verliert. Ergibt sich der Nachvollzug gesellschaftlicher Veränderungen automatisch aus der Botschaft Jesu, der zur Umkehr ruft angesichts der Weisungen des Obersten Schöpfers? Welche dauerhaften Bestimmungen lassen sich darin erkennen? Und wie wertfrei verstand Jesus die Liebe?
Wegen des stark emotionalisierten Gesprächsklimas beginne ich mit ein paar Gedanken zur kulturellen Grosswetterlage.
Hypermoral als Ersatz für den Ewigen Schöpfer
Die gesellschaftliche Entwicklung, der Zeitgeist ist von drei Faktoren geprägt: Erstens hat er sich faktisch von jedem Bezug zu Gott, dem Obersten Schöpfer, abgekoppelt. Ob religiös verbrämt oder nicht, in weiten Teilen herrscht der praktische Atheismus: Tu, was du willst! Davon sind religiöse Institutionen nicht per se ausgenommen.
Zweitens erörtert unser Zeitgeist, wenn überhaupt, Wahrheit nur noch im Plural: Jedem seine Wahrheit! Wenn der Ewige, die Wahrheit in Person, aus dem Blick gerät und nicht mehr gesucht wird, verschwindet auch die Liebe zur Wahrheit, der Sinn für universale Werte und Tugenden. Was bleibt? Das unverbindlich-hilflose Schulterzucken: Hauptsache, es stimmt für dich.
Und drittens basiert die Diskussion nicht mehr auf Vernunftgründen, sondern auf blossen Gefühlen, die keinen Widerspruch mehr dulden: Ich fühle mich verletzt! Ende der Durchsage. Diskriminieren im ursprünglich-wörtlichen Sinne, nämlich unterscheiden, ist mittlerweile verpönt. Wer sich dagegen zu einer höheren Moral berufen fühlt, hebt den Zeigefinger in Richtung konservativ Denkende: Hassrede muss bestraft werden!
Dabei irritiert, mit welch absolutem Wahrheitsanspruch ein Teil der Meinungsvielfalt bekämpft wird. Dazu noch mit totalitären Mitteln, die den Boden des Rechtsstaates verlassen. Denn «Hass» ist kein justiziabler Begriff, weil er, ein subjektives Gefühl beschreibend, nie als objektive Grundlage für ein Gerichtsurteil dienen kann. Wer bestimmt denn, was als Hassrede gilt und was nicht? Umgekehrt, wer die Ehe für alle ablehnt, bekommt die Moralkeule zu spüren und wird leicht als rückständig, intolerant oder gar lieblos abqualifiziert. Überhaupt ist kein Lebensbereich mehr von der sogenannt progressiven Moral ausgenommen. So ersetzt die Hypermoral den Ewigen Schöpfer und spaltet die Gesellschaft.
Die «repressive Toleranz» der Postmoderne
Dieser Zeitgeist ist im Ergebnis ein Diktat der postmodernen Beliebigkeit, auch wenn es nicht als solches empfunden wird; es kommt ja mit dem grossspurigen Versprechen von Freiheit und Selbstverwirklichung daher. Zugrunde liegt keine organische Entwicklung, sondern ein Angriff der Frankfurter Schule auf die traditionelle Familie, den Kern der Gesellschaft, mithilfe der kritischen Theorie. Ihr prominentester Vertreter, Herbert Marcuse, lässt daran keinen Zweifel. Unter dem Titel «Repressive Toleranz» hat er bereits 1965 gesagt:
«Befreiende Toleranz würde mithin Intoleranz gegenüber Bewegungen von rechts bedeuten und Duldung von Bewegungen von links.»
Das kommt bekannt vor. Ihr Programm ist Gleichheit bzw. Diversität (Vielfalt!) – ein Codewort für die Nivellierung aller Unterschiede. Alle sollen letztlich zu allem fähig sein, ein Mann zur Frau und umgekehrt, beide dann auch zur Ehe, eben gleichartig. Gleichwertig genügt nicht mehr. Denn wenn es keine universalen Werte mehr gibt, gelingt der Zusammenhalt der Gesellschaft nur noch über Gleichmacherei. Dabei dient die Sprache als Waffe im Konflikt zwischen ungleichen Gruppen.
Wer nämlich den Pfad der politisch Korrekten verlässt und zu widersprechen wagt, dessen Stimme muss unterdrückt werden, für den gilt die Vielfalt nicht. Ein Pfarrkollege meinte sogar, jedem, der die Trauung eines Homo-Paares verweigere, müsse der Lohn gestrichen werden. Das ist ausgewachsene Doppelmoral im Gewand einer kommunistischen Sozialutopie.
Wer die freie Rede, die aus dem Gewissen kommt, in Frage stellt, untergräbt letztlich die freie Gesellschaft insgesamt, indem er just das hervorruft, was er zu bekämpfen vorgibt.
Umkehr zur Schöpfungsordnung
Besonders betroffen macht mich, dass Homosexuelle in diesem Kulturkampf als Spielball missbraucht werden. Ich habe das Paar Ernst Ostertag und Röbi Rapp persönliche kennengelernt, das als erstes seine Partnerschaft in Zürich eintragen konnten. Ihren Kampf für die gleichwertige Anerkennung habe ich öffentlich begrüsst. Und wäre ich gefragt worden, hätte ich sie auch kirchlich gesegnet. So weit gehe ich mit der Zeit, kümmere mich jedoch nicht um die Zuschreibung rechts oder links.
Der Warnung Jesu aus der Bergpredigt folgend, kann ich aber nicht mit dem Strom schwimmen. «Denn weit ist das Tor und breit der Weg, der ins Verderben führt.» (Mt 7,13) Ich lehne die Ehe für alle ab, denn sie untergräbt die Schöpfungsordnung, den besonderen Schutz der Kinder als sichtbar gewordene Liebe zwischen Mann und Frau.
In der ganzen Diskussion fällt auf, dass vorwiegend das individuelle Recht auf Ehe betont wird, ohne an die Folgen für Kind und Gesellschaft zu denken. Im Teil 2 nehme ich diesen Faden wieder auf.